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Entstehung von Moral

"Abstract"
Die evolutionären Ursprünge der menschlichen Moral sind deutlich zu erkennen. Ob die Moral dabei als Nebenprodukt der Evolution, oder als Selektion entstand, mag zukünftig noch ausdifferenziert werden, festzuhalten ist, das der "moralische Sinn" (biologisch) evolutionär geprägt ist, die "moralischen Normen" aber durch soziokulturelle Beeinflussung festgelegt wurden, wobei diese Festlegungen bereits lange vor den sogenannten "heiligen Schriften" dokumentiert wurden.

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Woher kommt die Moral? Steckt sie vielleicht in unseren Genen? Oder geht sie eher auf die Religion oder kulturelle Einflüsse der menschlichen Gemeinschaft zurück?

Dieses Wort kommt vom lateinischen Begriff „moralis“ und heißt übersetzt „die Sitten betreffend“. Als Moral werden die Werte und Regeln bezeichnet, die in einer Gesellschaft allgemein anerkannt sind. Wenn man sagt, jemand hat „moralisch“ gehandelt, ist damit gemeint, dass er sich so verhalten hat, wie es die Menschen richtig und gut finden.
Moral | bpb.de



Die Moral als Nebenprodukt der Evolution

Francisco Ayala, Professor für Evolutionsbiologie an der University of California in Irvine, erklärt die Moral zu einem eher zufälligen Nebenprodukt der Evolution. Ethisches Verhalten sei nicht direkt durch natürliche Selektion zu erklären, schreibt er im Fachblatt "Proceedings of the National Academy of Sciences".

Moral ist für den Wissenschaftler keine Adaption an die Umwelt, die den Menschen unmittelbare Vorteile brachte, sondern vielmehr eine sogenannte Exaptation. So nennen Evolutionsbiologen die kreative Zweckentfremdung in der Natur, von der es viele Beispiele gibt, etwa Federn. Sie scheinen sich zunächst entwickelt zu haben, um die Körpertemperatur von Tieren zu halten. Später haben Vögel sie aber auch benutzt, um zu fliegen.



Entstehung der Moral als evolutionäre Selektion

"Die Menschen haben immer sozial gelebt, und soziales Leben bedeutet Leben nach Regeln", sagt beispielsweise Jürgen Bereiter-Hahn von der Universität Frankfurt. "Darin sehe ich den Ursprung der Moral - sie kann unmittelbar einen Evolutionsvorteil schaffen."



Moral als Produkt der Intelligenz

Francisco Ayala stellt dies in Frage: "Der moralische Sinn erlaubt uns, Taten als richtig oder falsch zu beurteilen." Es sei unwahrscheinlich, dass die Fähigkeit zu moralischen Urteilen an sich ein Vorteil gegenüber Artgenossen gewesen sei. Ziel (besser: die Auswirkung [eigene Anmerkung]) der natürlichen Selektion vor allem im Pleistozän sei vielmehr die Entwicklung intellektueller Fähigkeiten gewesen. ... Den Sinn für Moral führt Ayala auf die großen intellektuellen Fähigkeiten des Menschen zurück, die sich mehr und mehr entwickelten. "Sie ermöglichen uns, Konsequenzen unseres Handelns vorherzusehen, diese Konsequenzen einzuschätzen und die entsprechende Handlung auszuwählen." Es ist die menschliche Rationalität, die moralische Beurteilungen hervorbringt.

Moralischer Sinn // moralische Normen

Ayala unterscheidet übrigens zwischen der Fähigkeit, Taten als richtig oder falsch einzustufen, und moralischen Normen, denen Menschen bei ihren Handlungen folgen. Der moralische Sinn ist für den Wissenschaftler eng mit der menschlichen Natur und seinem Intellekt verknüpft.

Moralische Normen erklärt Ayala hingegen zum Produkt der kulturellen Evolution. Normen können sich ändern.



Die Anfänge moralischen Verhaltens sind vermutlich entstanden, weil sie die Kooperation in einer Gruppe fördern.

Alles hat ganz einfach begonnen. Das gilt nicht nur für unseren Körper – mit den Händen, die sich aus den Vorderflossen entwickelt haben, und den Lungen, die aus einer Schwimmblase entstanden sind –, sondern auch für unser Denkvermögen und unser Verhalten. Die Vorstellung, dass unsere Moralität nichts mit diesen bescheidenen Anfängen zu tun hat, wurde uns von der Religion eingetrichtert und von der Philosophie übernommen. Allerdings steht das im krassen Widerspruch zu allem, was uns die moderne Wissenschaft über die Vorrangstellung von Intuition und Emotionen lehrt. Außerdem widerspricht es dem, was wir über andere Tiere wissen. 

Frans de Waal ist ein niederländischer Primatenforscher und Professor für Psychobiologie an der Emory Univer­sity sowie Direktor des Yerkes National Primate Research Center in Atlanta.


"Religion ist ja eine extrem junge Angelegenheit, die ältesten Spuren symbolischer Kommunikation sind 70 000 bis 80 000 Jahre alt, und die ersten Großreligionen entstanden erst vor 10 000 bis 12 000 Jahren", sagt Eckart Voland, emeritierter Biophilosoph an der Universität Gießen. "Die Menschen haben aber schon immer Moral gebraucht, um in Gruppen miteinander auszukommen."

Primatologe Frans de Waal, Direktor des Yerkes National Primate Research Center in Atlanta erklärt, dass sich bereits bei höheren Tieren ein Sinn für Gerechtigkeit findet. Anlass dafür ist ein Experiment, das de Waal zusammen mit seiner Kollegin Sara Brosnan bereits 2003 im Wissenschaftsmagazin Nature vorstellten: Jeweils zwei Kapuzineräffchen waren darauf trainiert worden, Spielsteine gegen Gurkenstückchen umzutauschen, was diese auch gern taten. Wenn allerdings einer der Affen statt der Gurken hochbegehrte, süße Weintrauben bekam, weigerte sich der andere, seinen eigenen Stein zu tauschen. Richtig sauer wurde er, wenn der bevorzugte Affe seine Trauben ganz ohne Bezahlung bekam. Dann pfefferte das benachteiligte Tier Gurke und Steine aus dem Käfig. De Waal und Brosnan interpretieren dieses Verhalten als Ausdruck eines verletzten Gerechtigkeitssinnes.
Evolution - Woher kommt die Moral? - Wissen - SZ.de (sueddeutsche.de)



Die Wurzeln der menschlichen Moral liegen in der gemeinsamen Jagd, die Kooperation und Teamgeist förderte

Der Keim der menschlichen Moral entstand vermutlich vor rund 400.000 Jahren, als Menschen begannen, gemeinsam zu jagen und Nahrung zu sammeln.

Die kooperativen Beziehungen wurden überlebens­notwendig und förderten ein Gefühl für gegenseitigen Respekt und Fairness.

Durch zunehmende Populationsgrößen festigten sich schließlich kollektive Gruppenidentitäten mit gemein­samen kulturellen Praktiken und sozialen Normen.

Entscheidend dafür war die Erkenntnis, dass Menschen in einer sozialen Gruppe, in der jeder auf jeden zum Überleben und Wohlergehen angewiesen ist, nach einer ganz besonderen Prämisse handeln. In dieser Logik der gegenseitigen Abhängigkeit gilt das Prinzip: Wenn ich dich brauche, liegt es in meinem Interesse, für dein Wohlergehen zu sorgen. 

Michael Tomasello ist Professor für Psychologie und Neurowissenschaft an der Duke University in Durham (USA) und emeritierter Direktor des Max-Planck-­Instituts für evolutionäre Anthropologie in Leipzig.



Jürgen Bereiter-Hahn von der Universität Frankfurt: 
 "Moral und Religion haben sich ...  getrennt entwickelt ... Die Menschen haben immer sozial gelebt, und soziales Leben bedeutet Leben nach Regeln", sagt er. Das gelte auch für Tiere. "Darin sehe ich den Ursprung der Moral - sie kann unmittelbar einen Evolutionsvorteil schaffen."

Der Soziologe Armin Nassehi von der Ludwig-Maximilians-Universität München interpretiert Moral verschieden: einerseits als Kooperationsvorteil und insofern als "Generator von konventionell richtigem Verhalten", andererseits als abstraktere Regeln von Gut und Böse.
Diese abstraktere Moral hält Nassehi für ein Ergebnis soziokultureller Evolution. "Man kann sehen, dass sich Moralvorschriften der jeweiligen evolutionären Situation einer Gesellschaft anpassen". Dies geschehe etwa nach der Formel: Je einfacher die Gesellschaft, umso konkreter und konventioneller die Moralvorschrift. "Je komplexer eine Gesellschaft, desto formaler und entscheidungsabhängiger werden Moralen."
Religion versus Evolution: Wie die Sünde in die Welt kam - DER SPIEGEL


Laut Shermer teilen Menschen und andere soziale Tiere, insbesondere die Menschenaffen, die folgenden Merkmale:

Bindung und Bindung, Zusammenarbeit und gegenseitige Hilfe, Sympathie und Empathie, direkte und indirekte Gegenseitigkeit, Altruismus und gegenseitiger Altruismus, Konfliktlösung und Friedensstiftung, Täuschung und Täuschungserkennung, Besorgnis der Gemeinschaft und Sorge um das, was andere über Sie denken, sowie Bewusstsein und Reaktion darauf die sozialen Regeln der Gruppe.
Shermer argumentiert, dass sich diese vormoralischen Gefühle in Primatengesellschaften entwickelt haben, um die individuelle Selbstsucht einzudämmen und kooperativere Gruppen aufzubauen. Für jede soziale Spezies sollten die Vorteile der Zugehörigkeit zu einer altruistischen Gruppe die Vorteile des Individualismus überwiegen. Zum Beispiel könnte ein Mangel an Gruppenzusammenhalt Einzelpersonen anfälliger für Angriffe von Außenstehenden machen. Ein Teil einer Gruppe zu sein, kann auch die Chancen verbessern, Nahrung zu finden. Dies zeigt sich bei Tieren, die in Rudeln jagen, um große oder gefährliche Beute zu töten.


Michael Brant Shermer ist ein US-amerikanischer Wissenschaftsjournalist, Wissenschaftshistoriker, Gründer der Skeptics Society und Chefredakteur der Zeitschrift Skeptic




Altruismus und Egoismus

Menschen wie Tiere helfen manchmal ihren Artgenossen, ohne davon einen Vorteil zu haben. Aber ist die scheinbar absichtslos gute Tat wirklich so uneigennützig?

Wissenschaftler glauben nicht, dass wir anderen ausschließlich deswegen helfen, weil wir auf den persönlichen Eigennutz spekulieren. Dennoch spiele der Gedanke an einen Vorteil sehr wohl eine Rolle – wenn auch nicht bewusst.

Der Mensch ist nicht das einzige Lebewesen, das sich für andere zurückstellt. Elefanten stützen oder tragen verletzte Herdenmitglieder mit ihren Stoßzähnen. Arbeiterbienen in einem Bienenstock haben keinen Nachwuchs, weil sie sich um die Brut der Königin kümmern und Eindringlinge bekämpfen.

Ist Altruismus im Tierreich eher an einen genetischen Zusammenhang geknüpft, handelt der Mensch nach dem Prinzip der "Indirekten Reziprozität". Das bedeutet, nicht nur Familienmitglieder können in die Gunst seines Wohlwollens kommen. Auch Fremden wird geholfen. Dabei spielt es keine Rolle, ob der Hilfsbedürftige sich später beim Helfenden revanchiert.

Dahinter steckt die Regel: "Ich helfe dir und du hilfst jemand anderem oder jemand anderes hilft mir." So kann eine Solidargemeinschaft entstehen, in der alle voneinander profitieren. 


Ein Altruist nimmt per Definition durch August Comte in Kauf, dass er durch seinen Einsatz für andere einen Verlust erleidet, also einen Nachteil hat.

Tun wir anderen Menschen etwas Gutes, fühlen wir uns selbst gut. Der griechische Philosoph Aristoteles hat das so formuliert:

„DER IDEALE MENSCH VERSPÜRT FREUDE, WENN ER ANDEREN EINEN DIENST ERWEISEN KANN.“

Der Bonner Psychologie-Professor Martin Reuter hat 2010 eine Verbindung zwischen Erbanlagen und Altruismus festgestellt. Er hat rund 100 Studierende für die Ergebnisse in einem Merktest mit fünf Euro belohnt. Das Geld konnten sie anschließend in beliebiger Höhe für einen caritativen Zweck spenden.

Reuter hatte den Studierenden vor dem Versuch Hautzellen entnommen und sich bei der DNA-Analyse auf das COMT-Gen konzentriert. Dieses Gen gibt es in zwei Varianten: COMT-Val und COMT-Met. Sein Versuch hat gezeigt, dass die Probanden mit dem COMT-Val Gen doppelt so viel Geld spendeten, wie die Versuchsteilnehmer mit der COMT-Met-Variante.

Der Grund dafür ist einfach und biochemischer Natur. Das COMT-Val Gen enthält die Bauanleitung für einen Botenstoff, der in unserem Gehirn produziert wird: Dopamin, auch bekannt als „Glückshormon“. Bei Menschen mit COMT-Val Gen arbeitet das dazugehörige Enzym bis zu viermal effektiver.

Biologen gehen heute davon aus, dass Altruismus ursächlich dazu dient, innerhalb einer verwandten menschlichen Gen-Gruppe der eigenen Familie einen Vorteil zu verschaffen: die Verwandtenselektion. Damit würde das genetische Überleben der Gruppe gestärkt und gefördert – was in sich aber schon wieder Egoismus birgt.

Forscher des Max-Planck-Instituts für Kognitions- und Neurowissenschaften kommen in einem Versuch mit 6- bis 13-Jährigen zu dem Ergebnis, dass die Hirnentwicklung eine wesentliche Rolle für die Fähigkeit zu fairem Teilen spielt. Messungen der Hirnaktivität zeigten, dass der laterale präfrontale Kortex bei älteren Kindern aktiver war. Dieser Gehirnbereich ist verantwortlich für soziale Entscheidungsprozesse und die Ich-Entwicklung.

Der Psychologe Felix Warneken von der University of Michigan/USA zeigt, dass die Hilfsbereitschaft von Kindern bereits bei der Geburt angelegt ist, durch einen Versuch, bei dem Anderthalbjährige bereitwillig ihr Essen teilten.

Zusammen zeigt dies sowohl angeborenes soziales Verhalten als auch zunehmenden Altruismus mit steigendem Alter und der Sozialisierung von Kindern auf. 


Trepanation
Ab etwa 1865 wurden weltweit Schädel mit Öffnungen gefunden, deren Zustandekommen nicht durch Kämpfe oder Unfälle erklärbar war. Untersuchungen zeigten Heilungsprozesse an den Knochenrändern, was bedeutet, dass die betroffenen Individuuen den Eingriff längere Zeit überlebt hatten. bei bereits Toten tritt dieser Heilungsprozess nicht ein.

Die frühesten Trepanationen (im Sinne von Schädelöffnungen) sind aus Marokko bekannt; sie wurden auf 12.000 bis 11.000 BP datiert. Sie können ab etwa 10.000 v.u.Z. bei europäischen Mesolithikern belegt werden, in Asien (z. B. im Natufien bei Jericho (8350 bis 6000 v.u.Z.) und in Anatolien und in Ostasien.

Ob diese Trepanationen medizinischen oder kultischen Zweck verfolgten, ist teils unklar.


Beim neusten Befund aus Megiddo meint die Archäologin Rachel Kalisher im Fachblatt „Plos One“, dass der Zweck des Eingriffs wohl ein medizinischer war. Man habe versucht, den Mann von seinem Leiden zu befreien.


Steinzeitmenschen mit sozialer Ader

Selbstloses Verhalten brachte den Steinzeitmenschen in ihren aus kleinen Gruppen bestehenden Gemeinschaften einen evolutionären Vorteil. Sie konnten sich als Gemeinschaft mit engen sozialen Bindungen besser gegen fremde, konkurrierende Gruppen durchsetzen und dadurch ihre Überlebenschancen steigern. Der so genannte Altruismus konnte sich so als wichtiger Wesenszug des Menschen etablieren. Das sagen Forscher um Samuel Bowles vom Santa Fe Institute, die mithilfe noch lebender Jäger-Sammler-Kulturen den genetischen Variantenreichtum und die gesellschaftlichen Grundzüge der Menschen in der Steinzeit rekonstruierten.

Diese Konstellation förderte vom evolutionären Standpunkt aus die Entwicklung von altruistischem Verhalten, so die Argumentation von Bowles. Wer sich nämlich für die eigene Gruppe und deren Überleben selbstlos einsetzt, sichert damit auch den Bestand der eigenen Gene. 


Altruismus in der Steinzeit

50 Jahre wurde er alt, vor rund 500.000 Jahren in Spanien: der "Ur-Elvis" war für damalige Verhältnis ein Greis. Forscher finden heraus, dass er an Arthrose litt und einen Wirbelsäulenschaden hatte. Nur eines half ihm offenbar, so lange zu überleben: Das altruistische Verhalten seiner Mitmenschen. So erklärt es der Paläontologe Alejandro Bonmati in der US-Fachzeitschrift "Proceedings of the National Academy of Sciences".

"Elvis", ein Homo heidelbergensis, habe einen äußerst schmerzhaften Wirbelsäulenschaden gehabt. Dies sei anhand des gefundenen Beckens ( = Pelvis) und fünf Wirbeln nachgewiesen worden.  Elvis Presley war wegen seiner sexy Hüftschwünge ("Elvis, the Pelvis") bekannt. 




Altruismus im Tierreich

Michael Taborsky, Verhaltensbiologe der Universität Bern, erforscht seit über 40 Jahren das Sozialverhalten bei verschiedenen Tierarten. seine Haupterkenntnis daraus: Menschliches Verhalten und damit auch der Altruismus, hat biologische Wurzeln.» Inwiefern kulturelle Einflüsse dieses Verhalten beeinflussen, sei eine andere Frage, so Michael Taborsky. Aber: «Die Veranlagung zum Altruismus ist in unserer genetischen Struktur schon vorhanden.... Die gesamte Bandbreite von kooperativem Verhalten bei Tieren lässt sich auf ein paar wenige Selektionsprinzipien zurückführen.»

1. Gegenseitigkeit (Mutualismus)
In der Evolutionsbiologie bedeutet das: Ein Individuum hat von der Leistung, die es einem oder mehreren anderen Individuen gegenüber erbringt, ebenfalls einen Vorteil. Das Paradebeispiel ist die kooperative Jagd, etwa bei Löwen. Denn wenn sie sich zusammenschliessen, sind sie in der Lage, ein grosses Beutetier zu jagen wie zum Beispiel ein Zebra.» Die geteilte Beute ist unter dem Strich immer noch grösser, als wenn ein Löwe für sich allein ein kleineres Tier – beispielsweise eine Gazelle – jagt.

2. Altruismus
Bei diesem Prinzip bringt die Handlung des Einzelnen gegenüber anderen erst einmal keinen Vorteil.

Beispiele:
Eine Vampirfledermaus muss jede Nacht bei einem anderen Wildtier Blut saugen, um nicht zu verhungern, doch nicht immer gelingt ihr dies. In diesem Fall hilft ihr eine Artgenossin mit einer Blutspende aus, die sie aus dem Magen hervorwürgt.

Arbeiterbienen, Ameisen oder Termiten beteiligen sich an der Brutpflege. Ihr Nutzen: Genetisch gesehen pflegen sie ihre Geschwister – und sind damit evolutionsbiologisch genauso erfolgreich, wie wenn sie eigene Kinder bekommen hätten.

Wanderratten tauschen Futter gegen Körperpflege. Dabei gehen sie auch in Vorleistung, das heisst: Eine grosszügige Wanderratte gibt ihrer bedürftigen Artgenossin durchaus eine Nuss ab, um später von dieser ein wenig Nackenkraulen zu kassieren. Dieses Prinzip heisst Reziprozität –, wenn du mir gibst, so gebe ich dir später auch.



1964 haben Verhaltensbiologen ein ethisch sehr fragwürdiges Experiment gemacht. Sie sperrten Rhesusaffen in einen Käfig und fütterten sie über einen Futterverteiler. Der Haken: Wann immer ein Affe nach dem Futter griff, erhielt ein anderes Gruppenmitglied einen automatisierten Stromschlag.
Ergebnis: Die Affen hungerten, teilweise bis zum Selbstmord, um ihren Gruppenmitgliedern schmerzhafte Stromschläge zu ersparen.
Altruistisch-machende Gene haben sich in der evolutionären Vergangenheit stärker propagiert, als egoistische Gene. Träger altruistischer Gene haben ihre Verwandten (und damit ihre eigenen Gene in ihren Verwandten) vor Schaden bewahrt.
www.primatefreedom.com/masserman.pdf?fbclid=IwAR3F5PS-clEt41QZRmof2zWGQJ2DpZ65ykGN2C4JkS1zBSWJQGyMRx5iOFI




Derart altruistisches Verhalten findet sich in vielen sozialen Spezies, in denen das Beschützen der Gruppenmitglieder den Fortbestand der eigenen Gene verbessert.
Ratten befreien gefangene Artgenossen aus Käfigen, selbst, wenn sie dafür den Verlust einer attraktiven Mahlzeit in Kauf nehmen müssen.
Rats free each other from cages | Nature


Soziokulturelle Festlegungen

1. "Anweisungen aus Schuruppak" ca. 2600/2500 v.u.Z., sumerische Keilschrift, wohl ältester Weisheitstext der Menschheitsgeschichte:
(28-31) Du sollst nichts stehlen ... Du sollst nicht in ein Haus einbrechen ... du sollt nie einen Raub begehen
(35-38) Du sollst keinen Streit anfangen ... du sollst nicht lügen. Du sollst nicht prahlen; den dann wird deinen Worten geglaubt.
(50) Fluche nicht übermäßig, das fällt auch dich zurück
(61-62) ... Du sollst keine Gewalt einsetzen; […] Du sollst keine Tochter vergewaltigen; das Gericht wird Dich sonst straffen.
(68-72) Wenn Du ein Mann bist, sei nicht freizügig mit deiner Hand. Der Krieger ist einzig ... (d.h. ihm allein ist es vorbehalten)
(97-100) Wenn es eines anderen Brot ist, dann ist es leicht zu sagen „Ich geb es Dir!“, aber in Zeiten des wirklichen Gebens kann es weit weg wie der Himmel sein.
(153) Du sollst keines Bauern Sohn (d.h. einen gesellschaftlich Niederen) schlagen; er könnte deine Deiche und Kanäle gebaut haben.
(202-203) Ein liebendes Herz bewahrt eine Familie; ein hasserfülltes Herz zerstört eine Familie.
(248-249) Du sollst keines (anderen) Ehefrau entführen; du sollst sie nicht zum heulen bringen.
(252-253) Du sollst niemanden töten ...
(255-260) Du sollst nicht arrogant zu deiner Mutter sprechen ... Die Anweisungen des Vaters solltest Du befolgen.


2. Gesetze
- Reformgesetze des Urukagina (um 2350 v.u.Z.)
daraus: Einwohner wurden aus einer Reihe von Schuldknechtschaften befreit, die missbräuchliche Ausbeutung der wirtschaftlich Schwachen durch die im Rang Höherstehenden verboten.

- Codex Ur-Nammu ist die älteste schriftlich überlieferte Rechtssammlung von ca. 2100 v.u.Z.. Daraus z.B.: Strafen für * Mord * falsche Anschuldigung/Zeugenaussage * Ehebruch

- Sehr ähnliche Inhalte in Codex Lipit-Ištar, ca. 1930 v.u.Z

- Codex Eschnunna (1770 v.u.Z.) mit 60 erhaltenen Paragraphen, die das Tarifrecht, Mietrecht, Strafrecht, Handelsrecht, Familienrecht, Schuld-/Pfandrecht, Kaufrecht, die Gerichtsbarkeit, Sklavenrecht und Haftungsrecht betreffen.

- weitere Ausführungen im Codex Hammurapi, ca. 1800 v.u.Z.

- Mittelassyrische Gesetze aus Assur (akkadische Sprache, 14.-12. Jhr. v.u.Z.). Daraus erhalten sind:* Tafel A (auch Frauenspiegel): 60 Rechtssätze zum Frauen- und Eherecht
* Tafel B: 18 Rechtssätze zum Liegenschaftsrecht
* Tafeln C/G: 11 Rechtssätze zum Sklavenrecht neben Schuldknechtschaft, Diebstahl und Verwahrung
* Tafel E: 2 Rechtssätze zu Untreue
* Tafel M: 3 Rechtssätze zum Seehandelsrecht
* Tafel N: 2 Rechtssätze zur Falschanklage
* Tafel O: 2 Rechtssätze zum Erbrecht


- Totenrede (Ägyptisches Totenbuch)
1. Die Götter verehren
2. Vater und Mutter ehren...
3. Nicht töten
4. Nicht stehlen
5. Kein sonstiges Unrecht begehen



Epikur
Die Normen des Zusammenlebens sind Epikur (341 - 271 v.u.Z.) zufolge nicht objektiv vorgegeben, sondern müssen von den Individuen unter Berücksichtigung der jeweiligen Interessen ausgehandelt werden. "An sich" existierte Gerechtigkeit nicht, denn sie ist eine "Abmachung", die unter bestimmten historischen Voraussetzungen geschlossen wird und somit auch geändert werden muss, wenn sie unter neuen gesellschaftlichen Bedingungen "kein (Allgemein-)Nutzen mehr bringt".





Frühaufklärung

Die säkularen rechtsphilosophischen Ausprägungen des Naturrechts, die nicht aus religiösen Grundwerten hergeleitet sind, sondern von der Erkennbarkeit durch menschliche Vernunft, werden als Vernunftrecht bezeichnet. Das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland griff die naturrechtliche Tradition auf.

Hugo Grotius (1583-1645) gilt als einer der intellektuellen Gründungsväter der Naturrechtslehre und des aufgeklärten Völkerrechts.

Samuel Pufendorf (1632-1694) gilt als Begründer der Vernunftrechtslehre. Pufendorf ging von einem rein weltlichen Rechtsgedanken aus und verstand das Naturrecht als Erfahrungswissenschaft. Er sprach sich für religiöse Toleranz sowie für die wissenschaftliche Trennung von Theologie und Philosophie aus. Mit seiner Rechtsauffassung eines säkularen Naturrechts (Vernunftrechts) und der Befürwortung eines einheitlichen Völkerrechts nahm Pufendorf maßgeblichen Einfluss auf die deutsche, aber auch europäische Rechts- und Staatsphilosophie im 18. und 19. Jahrhundert und wurde zu einem der Wegbereiter der Aufklärung.

Christian Thomasius (1655 - 1728) trug durch sein Eintreten für eine humane Strafordnung im Sinne der Aufklärung wesentlich zur Abschaffung der Hexenprozesse und der Folter bei. Legte, als Vertreter der Vernunftrechtslehre großen Wert auf eine strikte Trennung von Recht und Moral.

Christian Wolff (1679 - 1754) Die Werke des Konfuzius und des Menzius erklärte Wolff im Jahr 1721 zu einem Beweis für eine Ethik, die unabhängig vom christlichen Glauben über Jahrtausende eine Hochkultur geprägt hatte.






Ethik

Handel so, dass du auch wollen kannst, dass deine Maxime allgemeines Gesetz werde (Kant)

Ethische Verantwortung bedeutet, dass man für die Folgen seines Handelns aufzukommen hat.
Alles ethisch orientierte Handeln kann zwei voneinander grundverschiedenen Maximen folgen: gesinnungsethisch und verantwortungsethisch, wenngleich die Gesinnungsethik nicht ohne Verantwortung, und die Verantortungsethik nicht ohne Gesinnung sein muss.
Gesinnungsethisch: Wenn die Folgen einer aus reiner Gesinnung fließenden Handelung üble sind, so macht de Handelnde nicht er selbst, sondern die Welt dafür verantwortlich, also die Dummheit anderer Menschen, oder den Willen Gottes, der sie schuf.
Verantwortungsethisch: Der Handelnde rechnet mit eben jenen "Defekten" der Menschen, er hat kein Rexcht, ihre Güte und Vollkommenheit vorauszusetzen, er fühlt sich nicht in der Lage, die Folgen eigenen Tuns, soweit er sie voraussehen konnte, auf andere abzuwälzen.  (Max Weber)

Ethik ist ins Grenzenlose erweiterte Verantwortung gegen alles, was lebt (Albert Schweizer)

Eine Ethik, die den Menschen ein glückliches Leben verbürgen will, muss zwischen den Polen Trieb und Selbstbeherrschung die richtige Mitte suchen (Bertram Russel)

Die Gesamtheit der faktisch praktizierten Bedingungen wechselseitiger Achtung und Mißachtung macht die Moral einer Gesellschaft aus (Niklas Luhmann)

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