Kulturelles Gedächtnis ist ein von Jan Assmann und Aleida Assmann geprägter Begriff. Er bezeichnet „die Tradition in uns, die über Generationen, in jahrhunderte-, ja teilweise jahrtausendelanger Wiederholung gehärteten Texte, Bilder und Riten, die unser Zeit- und Geschichtsbewußtsein, unser Selbst- und Weltbild prägen.“
http://de.wikipedia.org/wiki/Kulturelles_Ged%C3%A4chtnis
Vergangenheit entsteht nicht von selbst, sondern ist das Ergebnis einer kulturellen Konstruktion und Repräsentation; sie wird immer von spezifischen Motiven, Erwartungen, Hoffnungen, Zielen geleitet und von den Bezugsrahmen der Gegenwart geformt. (lt. Halbwachs)
Mensch und Gesellschaft erinnern sich nur an das, "was als Vergangenheit innerhalb des Bezugsrahmen einer jeweiligen Gegenwart rekonstruierbar ist", dass, was in der Gegenwart keine Bezugsrahmen mehr hat, wird vergessen, wobei die Vergangenheit fortwährend von dem sich wandelnden Bezugsrahmen der fortschreitenden Gegenwart her neu rekonstruiert wird.
Das individuelle Gedächtnis einer Person wird dabei durch die Teilnahme an den kommunikativen Prozessen der Gesellschaft aufbaut.
Individuell im strengen Sinne sind nur die Empfindungen, nicht die Erinnerungen. Denn die Empfindungen sind eng an unsere Körper geknüpft, während die Erinnerungen notwendig ihren Ursprung im Denken der verschiedenen Gruppen haben, denen wir uns anschließen.
Es gibt kein mögliches Gedächtnis außerhalb derjenigen Bezugsrahmen, deren sich die in der Gesellschaft lebenden Menschen bedienen, um ihre Erinnerungen zu fixieren und wiederzufinden. (Maurice Halbwachs, 1985)
Bei dem selbsterstellten Selbstbild einer sozialen Gruppe wird die Differenz nach außen hin betont, die nach innen dagegen heruntergespielt. ... Derartige Gruppen jedoch streben nach Dauerhaftigkeit und tendiert dazu, Wandlungen möglichst auszublenden und die Geschichte als veränderungslos wahrzunehmen.
(Somit wird) Religion eine Art institutionalisierter Erinnerung und ist darauf aus, die Erinnerung an eine längst vergangene Zeit unberührt und ohne jede Beimischung späterer Erinnerungen durch die Zeit zu erhalten
konnektive Strukturen
Jede Kultur bildet etwas aus, das man ihre konnektive Struktur nennen könnte. Sie wirkt verknüpfend und verbindend (...). Sie bindet den Menschen an den Mitmenschen dadurch, dass sie als "symbolische Sinnwelt" einen gemeinsamen Erfahrungs-, Erwartungs- und Handlungsraum bildet, der durch seine bindende und verbindliche Kraft Vertrauen und Orientierung stiftet. ... Sie binden aber auch das Gestern an das Heute, indem sie die prägenden Erfahrungen und Erinnerungen formt und gegenwärtig hält, indem sie in einem fortschreitenden Gegenwartshorizont Bilder und Geschichten einer anderen Zeit einschließt und dadurch Hoffnung und Erinnerung stiftet. ... Beide Aspekte: der normative und der narrative, der Aspekt der Weisung und der Aspekt der Erzählung, fundieren Zugehörigkeit oder Identität, ermöglichen dem Einzelnen, "wir" sagen zu können. Was einzelne Individuen zu einem solchen Wir zusammenbindet, ist die konnektive Struktur eines gemeinsamen Wissens und Selbstbildes, das sich zum einen auf die Bindung an gemeinsame Regeln und Werte, zum anderen auf die Erinnerung an eine gemeinsam bewohnte Vergangenheit stützt.
Dabei gehen Gruppe und Raum eine symbolische Wesensgemeinschaft ein, an der auch festhalten wird, wenn Gruppe und Raum sich voneinander trennen, indem die heiligen Stätten symbolisch reproduziert werden.
Rituale, die regelhaft an die Zusammengehörigkeit der Siedlungsgemeinschaft untereinander und ihre Zugehörigkeit zum bewohnten Land erinnerten, stellten wohl das wirkungsmächtigste Instrument für die Tradierung der Erinnerung dar ... mit dem die Identität der Gemeinschaft bis auf deren Ursprünge zurückgeführt und die Zugehörigkeit zum Raum (Land) über die Geschichte legitimiert werden konnte. (aus: "Vorderasiatische Altertumskunde" - Marlies Heinz)
Über eine Sprache entsteht eine Einheit, welche durch fixieren eines Kodex (z.B. über Rituale usw.) zu einer größeren, sprachübergreifenden Einheit (Religion) wird. (Harald Haarmann)
"Kollektives Gedächtnis"
Das von Assmann benannte "kollektive Gedächtnis" funktioniert auf zwei Wegen:
Als fundierende Erinnerung, welche mit Ritualen, Tänzen, Mythen, Mustern, Kleidung, Schmuck, Tätowierung usw., Zeichensysteme aller Art, ... (d.h. mit) mnemotechnischen Funktion(en) arbeitet
und als biografischen Erinnerung, welche auf sozialer Interaktion basiert.
Der Unterschied zwischen Mythos und Geschichte wird dabei hinfällig, denn für das kulturelle Gedächtnis zählt nicht die faktische, sondern nur die erinnerte Geschichte, worin sich das Identitätsgefühl der Gruppe manifestiert.
Das kulturelle Gedächtnis vererbt sich aber nicht biologisch und muß daher über die Generationsfolge hinweg aufrecht gehalten werden. Dies geschieht mittels kultureller Mnemotechnik, also der Speicherung, Reaktivierung und Vermittlung des Sinns, während sich das "kulturelle Gedächtnis" im Gegensatz zum "kommunikativen Gedächtnis" nicht von selbst verbreitet, sondern sorgfältiger Einweisungen bedarf.
Durch das kulturelle Gedächtnis gewinnt das menschliche Leben an Zweidimensionalität oder Zweizeitigkeit. Dadurch verschafft sich der Mensch Freiraum von der "Realität des täglichen Lebens"
Mythos:
Auch der Begriff "Mythos" lässt sich über zwei Wege beschreiben:
Der "fundierende" Mythos stellt Gegenwärtiges in das Licht einer Geschichte, die es sinnvoll, gottgewollt, notwendig und unabänderlich erscheinen lässt.
(z.B. der Osiris-Mythos für Ägypten, die Exodus-Überlieferung für Israel, der Troja-Stoff für Rom und Homer´s Ilias für Griechenland)
Die "kontrapräsentische" Form des Mythos geht von Defizienz-Erfahrungen der Gegenwart aus und kreiert in der Erinnerung eine Vergangenheit, welche meist die Züge eines heroischen Zeitalters annimmt. Fehlende, Verschwundene und/oder Verlorene Dinge werden hervor gehoben und machen den Bruch zwischen "einst" und "jetzt" sichtbar.
Aus der selben Zeit wie das Buch Daniel stammt auch das ägyptische Töpferorakel, welches in Hoffnung und Erwartung einen Heilskönig weissagt, dessen Herrschaft nur durch den Umsturz der bestehenden politischen Ordnung heraufgeführt werden kann.
Ein weiteres Beispiel kontrapräsentischer oder kontrafaktischer Erinnerung ist das Buch Esther. Worin die Vergangenheit aus Sicht der Besiegten die Unterdrücker zu diffamiert und die Besiegten zu den eigentlichen Siegern empor hebt.
Schrift
Im Zusammenhang mit dem Schriftlichwerden von Überlieferungen vollzieht sich ein allmählicher Übergang von der Dominanz der Wiederholung zur Dominanz der Vergegenwärtigung, von "ritueller" zu "textueller Kohärenz". Damit ist eine neue konnektive Struktur entstanden. Ihre Bindekräfte heißen nicht Nachahmung und Bewahrung, sondern Auslegung und Erinnerung.
So sind z.B. die Königsinschriften (wie Sumerische Königsliste) mehr ein Instrument der Orientierung und Kontrolle, als der Sinnstiftung. Die intensive Beschäftigung mit der Vergangenheit dient der Stillsetzung und Entsemiotisierung der Geschichte. Zwischen dem wortlautgetreuen Kopieren eines Textes und der buchstabengetreuen Befolgung des Inhalts wurde kein großer Unterschied gemacht. Die Babylonier haben in teilweise sehr umfangreichen Kolophonen mittels Segens- und Fluchformeln gegen Beschädigung und Verballhornung ihre Texte und Verträge abgesichert und besiegelt.
Auslegung
Im Bezug auf einen "Kanon", indem der Text als unabänderbar gilt, ist aber die Welt der Menschen dennoch in fortwährendem Wandel und es besteht eine Distanz zwischen fixiertem Text (Kanon) und wandelbarer Wirklichkeit, die nur durch Deutungen zu überbrücken ist.
Kanonische Texte können nur in der Dreiecksbeziehung von Text, Deuter und Hörer ihren Sinn entfalten. So entstehen überall im Umkreis kanonisierter Überlieferung Institutionen der Interpretation und damit eine neue Klasse intellektueller Eliten: der israelische Sofer, der jüdische Rabbi, der hellenistische philogos, der islamische Scheich und Mullah, der indische Brahmane usw..
Mit dem unvermeidlichen Wandel der sozialen Milieus setzt Vergessen der in sie eingebetteten Erinnerung ein. Die Texte verlieren damit ihre (Selbst-)Verständlichkeit und werden auslegungsbedürftig. An Stelle kommunikativer Erinnerung (erlebte Erinnerung begrenzt auf die Zeit der Überlebenden, d.h. ca. 80 Jahre) tritt fortan organisierte Erinnerungsarbeit. Der Klerus übernimmt die Auslegung der Texte, die nicht mehr von selbst in ihre Zeit sprechen, sondern zu ihr in kontrapräsentische Spannung geraten sind.
"Da man den Sinn der Formen und Formeln teilweise vergessen hat, muss man sie deuten" (1985, Halbwachs) - ganz im Sinne des protestantischen Theologen Franz Overbeck, der schärfer formuliert hatte: "Die Nachwelt hat darauf verzichtet, sie zu verstehen, und sich vorbehalten, sie auszulegen"
Quellen:
"Das kulturelle Gedächtnis" von Jan Assmann
weiter siehe:
http://erinnerungskultur.com/2008/das-kulturelle-gedachtnis
http://de.wikipedia.org/wiki/Kulturelles_Ged%C3%A4chtnis
Vergangenheit entsteht nicht von selbst, sondern ist das Ergebnis einer kulturellen Konstruktion und Repräsentation; sie wird immer von spezifischen Motiven, Erwartungen, Hoffnungen, Zielen geleitet und von den Bezugsrahmen der Gegenwart geformt. (lt. Halbwachs)
Mensch und Gesellschaft erinnern sich nur an das, "was als Vergangenheit innerhalb des Bezugsrahmen einer jeweiligen Gegenwart rekonstruierbar ist", dass, was in der Gegenwart keine Bezugsrahmen mehr hat, wird vergessen, wobei die Vergangenheit fortwährend von dem sich wandelnden Bezugsrahmen der fortschreitenden Gegenwart her neu rekonstruiert wird.
Das individuelle Gedächtnis einer Person wird dabei durch die Teilnahme an den kommunikativen Prozessen der Gesellschaft aufbaut.
Individuell im strengen Sinne sind nur die Empfindungen, nicht die Erinnerungen. Denn die Empfindungen sind eng an unsere Körper geknüpft, während die Erinnerungen notwendig ihren Ursprung im Denken der verschiedenen Gruppen haben, denen wir uns anschließen.
Es gibt kein mögliches Gedächtnis außerhalb derjenigen Bezugsrahmen, deren sich die in der Gesellschaft lebenden Menschen bedienen, um ihre Erinnerungen zu fixieren und wiederzufinden. (Maurice Halbwachs, 1985)
Bei dem selbsterstellten Selbstbild einer sozialen Gruppe wird die Differenz nach außen hin betont, die nach innen dagegen heruntergespielt. ... Derartige Gruppen jedoch streben nach Dauerhaftigkeit und tendiert dazu, Wandlungen möglichst auszublenden und die Geschichte als veränderungslos wahrzunehmen.
(Somit wird) Religion eine Art institutionalisierter Erinnerung und ist darauf aus, die Erinnerung an eine längst vergangene Zeit unberührt und ohne jede Beimischung späterer Erinnerungen durch die Zeit zu erhalten
konnektive Strukturen
Jede Kultur bildet etwas aus, das man ihre konnektive Struktur nennen könnte. Sie wirkt verknüpfend und verbindend (...). Sie bindet den Menschen an den Mitmenschen dadurch, dass sie als "symbolische Sinnwelt" einen gemeinsamen Erfahrungs-, Erwartungs- und Handlungsraum bildet, der durch seine bindende und verbindliche Kraft Vertrauen und Orientierung stiftet. ... Sie binden aber auch das Gestern an das Heute, indem sie die prägenden Erfahrungen und Erinnerungen formt und gegenwärtig hält, indem sie in einem fortschreitenden Gegenwartshorizont Bilder und Geschichten einer anderen Zeit einschließt und dadurch Hoffnung und Erinnerung stiftet. ... Beide Aspekte: der normative und der narrative, der Aspekt der Weisung und der Aspekt der Erzählung, fundieren Zugehörigkeit oder Identität, ermöglichen dem Einzelnen, "wir" sagen zu können. Was einzelne Individuen zu einem solchen Wir zusammenbindet, ist die konnektive Struktur eines gemeinsamen Wissens und Selbstbildes, das sich zum einen auf die Bindung an gemeinsame Regeln und Werte, zum anderen auf die Erinnerung an eine gemeinsam bewohnte Vergangenheit stützt.
Dabei gehen Gruppe und Raum eine symbolische Wesensgemeinschaft ein, an der auch festhalten wird, wenn Gruppe und Raum sich voneinander trennen, indem die heiligen Stätten symbolisch reproduziert werden.
Rituale, die regelhaft an die Zusammengehörigkeit der Siedlungsgemeinschaft untereinander und ihre Zugehörigkeit zum bewohnten Land erinnerten, stellten wohl das wirkungsmächtigste Instrument für die Tradierung der Erinnerung dar ... mit dem die Identität der Gemeinschaft bis auf deren Ursprünge zurückgeführt und die Zugehörigkeit zum Raum (Land) über die Geschichte legitimiert werden konnte. (aus: "Vorderasiatische Altertumskunde" - Marlies Heinz)
Über eine Sprache entsteht eine Einheit, welche durch fixieren eines Kodex (z.B. über Rituale usw.) zu einer größeren, sprachübergreifenden Einheit (Religion) wird. (Harald Haarmann)
"Kollektives Gedächtnis"
Das von Assmann benannte "kollektive Gedächtnis" funktioniert auf zwei Wegen:
Als fundierende Erinnerung, welche mit Ritualen, Tänzen, Mythen, Mustern, Kleidung, Schmuck, Tätowierung usw., Zeichensysteme aller Art, ... (d.h. mit) mnemotechnischen Funktion(en) arbeitet
und als biografischen Erinnerung, welche auf sozialer Interaktion basiert.
Der Unterschied zwischen Mythos und Geschichte wird dabei hinfällig, denn für das kulturelle Gedächtnis zählt nicht die faktische, sondern nur die erinnerte Geschichte, worin sich das Identitätsgefühl der Gruppe manifestiert.
Das kulturelle Gedächtnis vererbt sich aber nicht biologisch und muß daher über die Generationsfolge hinweg aufrecht gehalten werden. Dies geschieht mittels kultureller Mnemotechnik, also der Speicherung, Reaktivierung und Vermittlung des Sinns, während sich das "kulturelle Gedächtnis" im Gegensatz zum "kommunikativen Gedächtnis" nicht von selbst verbreitet, sondern sorgfältiger Einweisungen bedarf.
Durch das kulturelle Gedächtnis gewinnt das menschliche Leben an Zweidimensionalität oder Zweizeitigkeit. Dadurch verschafft sich der Mensch Freiraum von der "Realität des täglichen Lebens"
Mythos:
Auch der Begriff "Mythos" lässt sich über zwei Wege beschreiben:
Der "fundierende" Mythos stellt Gegenwärtiges in das Licht einer Geschichte, die es sinnvoll, gottgewollt, notwendig und unabänderlich erscheinen lässt.
(z.B. der Osiris-Mythos für Ägypten, die Exodus-Überlieferung für Israel, der Troja-Stoff für Rom und Homer´s Ilias für Griechenland)
Die "kontrapräsentische" Form des Mythos geht von Defizienz-Erfahrungen der Gegenwart aus und kreiert in der Erinnerung eine Vergangenheit, welche meist die Züge eines heroischen Zeitalters annimmt. Fehlende, Verschwundene und/oder Verlorene Dinge werden hervor gehoben und machen den Bruch zwischen "einst" und "jetzt" sichtbar.
Bei extremen Defizienzerfahrungen kann eine kontrapräsentische Mythomotorik revolutionär werden, nämlich unter der Bedingung der Fremdherrschaft und Unterdrückung. ... Auch das Buch Daniel, das älteste Zeugnis einer millenaristischen Form kontrapräsentischer Mythomotorik, ist in einer solchen Situation entstanden. Es wird heute allgemein in die Zeit des Antiochus IV. Epiphanes datiert, zur Zeit der Makkabäerkriege.
Ein weiteres Beispiel kontrapräsentischer oder kontrafaktischer Erinnerung ist das Buch Esther. Worin die Vergangenheit aus Sicht der Besiegten die Unterdrücker zu diffamiert und die Besiegten zu den eigentlichen Siegern empor hebt.
Schrift
Im Zusammenhang mit dem Schriftlichwerden von Überlieferungen vollzieht sich ein allmählicher Übergang von der Dominanz der Wiederholung zur Dominanz der Vergegenwärtigung, von "ritueller" zu "textueller Kohärenz". Damit ist eine neue konnektive Struktur entstanden. Ihre Bindekräfte heißen nicht Nachahmung und Bewahrung, sondern Auslegung und Erinnerung.
So sind z.B. die Königsinschriften (wie Sumerische Königsliste) mehr ein Instrument der Orientierung und Kontrolle, als der Sinnstiftung. Die intensive Beschäftigung mit der Vergangenheit dient der Stillsetzung und Entsemiotisierung der Geschichte. Zwischen dem wortlautgetreuen Kopieren eines Textes und der buchstabengetreuen Befolgung des Inhalts wurde kein großer Unterschied gemacht. Die Babylonier haben in teilweise sehr umfangreichen Kolophonen mittels Segens- und Fluchformeln gegen Beschädigung und Verballhornung ihre Texte und Verträge abgesichert und besiegelt.
Auslegung
Im Bezug auf einen "Kanon", indem der Text als unabänderbar gilt, ist aber die Welt der Menschen dennoch in fortwährendem Wandel und es besteht eine Distanz zwischen fixiertem Text (Kanon) und wandelbarer Wirklichkeit, die nur durch Deutungen zu überbrücken ist.
Kanonische Texte können nur in der Dreiecksbeziehung von Text, Deuter und Hörer ihren Sinn entfalten. So entstehen überall im Umkreis kanonisierter Überlieferung Institutionen der Interpretation und damit eine neue Klasse intellektueller Eliten: der israelische Sofer, der jüdische Rabbi, der hellenistische philogos, der islamische Scheich und Mullah, der indische Brahmane usw..
Mit dem unvermeidlichen Wandel der sozialen Milieus setzt Vergessen der in sie eingebetteten Erinnerung ein. Die Texte verlieren damit ihre (Selbst-)Verständlichkeit und werden auslegungsbedürftig. An Stelle kommunikativer Erinnerung (erlebte Erinnerung begrenzt auf die Zeit der Überlebenden, d.h. ca. 80 Jahre) tritt fortan organisierte Erinnerungsarbeit. Der Klerus übernimmt die Auslegung der Texte, die nicht mehr von selbst in ihre Zeit sprechen, sondern zu ihr in kontrapräsentische Spannung geraten sind.
"Da man den Sinn der Formen und Formeln teilweise vergessen hat, muss man sie deuten" (1985, Halbwachs) - ganz im Sinne des protestantischen Theologen Franz Overbeck, der schärfer formuliert hatte: "Die Nachwelt hat darauf verzichtet, sie zu verstehen, und sich vorbehalten, sie auszulegen"
Quellen:
"Das kulturelle Gedächtnis" von Jan Assmann
weiter siehe:
http://erinnerungskultur.com/2008/das-kulturelle-gedachtnis
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